In meinem Bücherregal stehen ein paar Lieblingsbildbände.
Ich habe sie schon oft herausgezogen, kenne alle Texte,
alle Bilder. Und trotzdem. Das Buch an sich, das Blättern
durch die Seiten ist jedes mal wieder schön und
verführt mich jedesmal wieder zum stöbern.
Und während ich im Laufe der Zeit immer mehr erfahre,
rücken die Beschreibungen in ein neues Licht. So
etwas wollte ich machen, im Computer, etwas, das nicht
nur Wissen vermittelt, sondern auch dazu verführt,
immer wieder hervorgeholt zu werden. Daß meine
Themenwahl für dieses erste "Sachbuch"
auf das Mittelalter fiel, hat natürlich den Hintergrund,
daß ich mich selbst für Geschichte, besonders
für das Mittelalter interessiere. Und da sind mir
im Laufe der Zeit ein paar Sachen aufgefallen:
Das, was es an "populärwissenschaftlicher"
Literatur zum Thema gibt, ist häufig Klischeeüberladen
und außerdem schreiben die meisten Autoren voneinander
ab, schlimmer noch, die Grafiker malen voneinander ab
und übernehmen so die ganzen Fehler. Die inhaltliche
Qualität der meisten "leicht zugänglich
aufgemachten" (um mal eine Gruppe zu definieren)
Bücher ist erschreckend. Vielleicht an der Stelle
ein kleines Zitat aus einem der Bücher, um mal
zu verdeutlichen, was ich meine. Nehmen wir mal den
Tessloff Band "Ritter", aus der "Ich
war dabei" Reihe. Seite 1, erster Text:
"... Das Zeitalter des Rittertums begann um das
Jahr 900 und dauerte bis etwa 1500, dem Ende der Epoche,
die als das Mittelalter bekannt ist. Es waren harte
Zeiten. Die einfachen Leute waren so arm, daß
sie ihre Hütten, die nur aus einem einzigen Raum
bestanden, mit ihren Tieren teilen mußten. Abends
saßen sie auf grob gezimmerten Möbeln zwischen
modernden Abfällen und Mist, der Rauch des Feuers
brannte ihnen in den Augen. Hungersnöte und Seuchen,
wie der Schwarze Tod, waren keine Seltenheit. Die meisten
Menschen starben noch vor dem dreißigsten Lebensjahr.
Wenn sie nicht dem Rat älterer, weiser Männer
folgten, waren die Herrschenden oft töricht und
grausam. Die Stadtherren ließen ein Podest auf
dem Markt errichten, damit die Einwohner zusehen konnten,
wie Verbrecher gefoltert wurden. Zur allgemeinen Belustigung
wurden blinde Bettler gezwungen, ein Schwein totzuprügeln,
wobei sie sich natürlich immer wieder gegenseitig
trafen..."
Das ist nun, ohne Kürzungen oder Umstellungen der
Originaleinführungstext des Buches zum Mittelalter.
Eigentlich ist da jeder Kommentar überflüssig.
Außer, daß ich sowas im Dutzend bringen
könnte. Das wirklich Traurige ist, daß soetwas
veröffentlich wird, und die Menschen, weil sie
vermutlich immer noch ein Sorgfaltsdenken der Verlage
in ihrer Vorstellung haben, die Bücher unkritisch
kaufen. Und so berufen sich gerade Kinder immer wieder
darauf, ja was über das Mittelalter zu wissen,
weil sie zuhause ein Buch haben, in dem das so steht.
Ich kenne das tausendfach, da ich auf mittelalterlichen
Märkten, Burgen und Museen rgelmäßig
Vorführung mache und dabei mit den Besuchern ins
Gespräch komme.
Die Erwachsenen sind da in gleicher Weise "informiert"
- scheppernde Ritter in Rüstung, die nicht allein
aufstehen können, orgiastische Festgelage mit abgenagte-Knochen-über-die-Schulter-werfen,
Keuschheitsgürtel und Eisernere Jungfrauen sind
in der Regel das, was mit der eigenen mittelalterlichen
Geschichte in Verbindung gebracht wird. Die Bildungspolitik
tut ihr übriges, daß nicht mehr in den Köpfen
und Bewußtsein hängen bleibt - die Lehrpläne
sind vollgestopft mit Herrschergeburtstagen und Ortsnamen
berühmter Schlachten. Geld für Computer ist
von staatlicher Seite vorhanden, aber vernünftiges
Material müssen Schulen und vor allem Lehrer selbst
besorgen, von integrierten Konzepten ganz zu schweigen.
Und die Profi-Historiker? Jene große Schar von
Fachleuten, die über staubigen Urkunden brüten
und darüber nachdenken, ob linksgeschloßene
Bügelfibeln um 1235 schon im Nordschwarzwald verbreitet
waren, aber immer noch nicht wissen, ob es Karl den
Großen wirklich gab - diese Bildungselite ist
sich einfach zu schade (plakativ übertrieben, um
die Misere zu verdeutlichen, es gibt auch löbliche
Ausnahmen!), ihr Wissen auf für's Volk zugängliche
Weise aufzubereiten. Stichwort Bildquellen. Eine der
Originalideen zur CD war, alle guten und wichtigen Bildquellen
aus dem frühen und hohen Mittelalter auf die CD
zu packen, um sie so preiswert in einer guten optischen
Qualität einer breiten Öffentlichkeit zugänglich
zu machen. Aber die Archive und Bibliotheken (meistens
an Universitäten angeschloßen) denken gar
nicht daran, so etwas zu unterstützen. Sie betrachten
ihre "Schätze" nicht als kulturelles
Menschheitseigentum, sondern als etwas zu Behütendes,
was es nur einer auserwählten Schar zur Verfügung
zu stellen gilt. Ich wollte diese Dinge durchaus nicht
geschenkt, aber trotz finanzieller Angebote war keiner
der Angesprochenen bereit, ihre Quellen als ganzes zu
digitalisieren und im Verbund mit anderen Quellen zu
veröffentlichen.
Also, um an dieser Stelle nicht weiter ins Detail zu
gehen - es sind schon genug Ecken aus meiner Schreibtischplatte
herausgebissen - all dies hat mich dazu bewogen, selbst
aktiv zu werden und meine Erfahrungen im medialen und
mediendidaktischen Bereich zu nehmen und selbst ein
Projekt aufzuziehen, das versucht, viele der Probleme
in der Geschichtsvermittlung beim Schopf zu packen und
etwas Vernünftiges zu veröffentlichen. Das
Ergebnis ist aus meiner Sicht zufriedenstellend, wenn
auch längst nicht so perfekt, wie es hätte
sein können, aber es ist ein Autorenprojekt, ohne
die finanzielle Unterstützung eines Verlages oder
der öffentlichen Hand hergestellt und insofern
hauptsächlich durch persönliches Engagement,
nicht zuletzt der vielen Menschen, die ich für
das Projekt begeistern konnte, entstanden.
Aber ich betrachte dies als einen Anfang. Ich bin gerade
in der Planungsphase eines neuen Projektes und lade
alle, die tapfer bis hierher gelesen haben und mir in
den beschriebenen Punkten zustimmen, ein, sich einzubringen.
Die Idee ist folgende: Geschichte ist Erfahrung. Man
kann über die Auswirkungen dieser Erfahrungen lesen
und sehen, aber um die Geschichte zu erleben, muß
man die Erfahrungen selbst machen. Die Menschen aus
der Vergangenheit waren mit den gleichen Problemen konfrontiert
wie wir heute. Als Einzelpersonen und als Volksgruppen.
Große Themen des Lebens spiegeln sich auf erfahrbare
Weise in den Kleinigkeiten des Alltages wieder. Nur
wenn man sich dem nähert, kann man das abstrakte
Geschichte-in-Jahreszahlen-Denken verlassen und sich
dem Leben einer vergangenen, aber nicht toten Zeit nähern.
Also ist die mediale Idee dazu, komplette Szenen
mit Hilfe von Konzepten, die auch in Computerspielen
verwendet werden, umzusetzten. Allerdings nicht über
stets abstrakt wirkende grafische Arrangements, sondern
über die Gestaltung eines echten, fotografischen,
belebten Umfeldes. Der Besucher, der in diese Szenen
eintaucht, kann sich umsehen, erkunden, Dinge selbst
probieren und sich mit den Menschen, die er trifft,
unterhalten. Wahlweise völlig frei und ungezwungen,
oder in eine Handlung eingepackt, die bestimmte Abläufe
vorgibt.
Die Technologie ist eine völlig andere, als diejenige,
mit der diese CD realisiert wurde, aber sie ist vorhanden
und erste Experimente ergeben, daß sie auch beherrschbar
ist. 360 Grad Videoaufnahmen lassen sich interkativ
gestalten und in Verbindung mit Echtzeit 3D Engines
in eine frei begehbare Welt verwandeln. Das Konzept,
von null an vernünftig entwickelt (wer sich für
das Konzept interessiert, kann mir gern eine eMail schreiben)
funktioniert nicht nur mit "Mittelalter",
sondern mit jeder Epoche und jedem Ort. Die Idee ist,
damit auch Burgen und andere historische Gebäude
wieder zum "Leben" zu erwecken.
Sobald es hier ein Ergebnis zum "anschauen"
gibt, wird es natürlich auf dieser Webpage zu finden
sein, aber ich gehe von den Erfahrungen mit der Mittelalter
CD einfach mal davon aus, daß es schwierig ist,
Mitstreiter zu finden und so wird das noch etwas auf
sich warten lassen. Eine Fußnote für eventuell
Rollenspielbegeisterte - das Konzept der realistisch
erfahr/ und manipulierbaren Welt ist auch mit dem Hintergrund
entstanden eine neue Generation von Computer-Rollenspielsystemen
zu entwickeln und auf dem Papier bereits fertig. Falls
sich also hier jemand angesprochen fühlt...
So, das ist nun aber ein langer Text geworden, alles
weitere kann in den Foren diskutiert werden oder persönlich
mit mir - schreiben Sie mir einfach eine Mail, ich freue
mich über jeden Kontakt:
Markus Rupprecht
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